Gesellschaftsdämmerung | Umbaute Zeit (IV,13)
Ordnung paradox: sie gewinnt, wenn die Konfusion wächst. Die stärksten Effekte verbucht sie bei aktiver Sinnabstinenz. Wer darüber wacht, dass alle die Regeln einhalten, braucht sich um den Sinn ihres Tuns nicht zu kümmern – es sei denn zum Zeitvertreib. Sinnsuche als Zeitvertreib – die Zeit, die einige Postmoderne nennen, um anzudeuten, dass die Periode der aufregenden Menschheitsziele ebenso vorbei ist wie das zermürbende Warten darauf, dass sie sich einstellen, hat dieses Spiel nicht erfunden, aber unerhört ausgedehnt. Vom Urknall bis zum finalen Erlöschen des Universums reicht die eine Geschichte, in der ›wir‹, koste es, was es wolle, unseren Platz finden müssen. Definiere deinen Platz! So könnte die Devise lauten, unter der patentierte Königskinder sich anschicken, das Raumschiff Erde für eine Weile zu retten, um Aufschub für sich und ihr Tun zu gewinnen. Es ist nicht einfach, die Welt zu retten, aber so schlimm kann es nicht sein. Es geschieht schließlich alle Tage. »Heute schon geraucht?« Übel, übel, aber nicht ohne Hoffnung. Der Krebs wächst, wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Wer weiß, wo sie sonst ankäme. Die nicht aufgegebene Hoffnung verdämmert in den Zellen eines Denkens, das hauptsächlich damit beschäftigt ist, sich nichts zuschulden kommen zu lassen, was als Aufsässigkeit gegen den Gedanken der Weltbewahrung gedeutet werden könnte. Hoffen wir, dass dort nicht gefoltert wird. Wir sind alle mit den Nerven etwas herunter, kein Wunder angesichts des allgegenwärtigen Problemdrucks. Eine kleine Misshandlung hier, eine kleine Unduldsamkeit dort kann da schon unterlaufen. Und wenn auch. Keine Ratte sein ist schließlich auch ein Konzept. Die Ratten zu jagen – über diese Aufgabe herrscht jener Kónsens, der auf der ersten Silbe betont wird, um anzuzeigen, dass er der bestimmende ist und sich zu verfügen – notfalls auch zu fügen – weiß. Verfügbar ist immer das Leid, ein kostbarer, zumeist aus Schwellenländern importierter Rohstoff, aus dem sich seltsame Amulette gewinnen lassen.
© Acta litterarum 2009