Gesellschaftsdämmerung | Umbaute Zeit (IV,9)
Ein zu waches Bewusstsein der Ohnmacht, die jeder Macht innewohnt, ein überbordendes Misstrauen in das Beharrungsvermögen jeglicher ›Zustände‹, in die Findigkeit der Alltagsakteure, sich den Gegebenheiten anzupassen, um weiter ihr Spiel zu spielen, in die autopoietischen Fähigkeiten der ›Systeme‹, das realer ist als jeder politischer Wille, zieht sich durch die Äußerungen von Diktatoren und die von ihnen dekretierten Verhältnisse. Jeder Terror reibt sich auf. Es ist die Ohnmacht der Ideologen gegenüber den Wirklichkeiten und ›Mächten‹, die sie zum Äußersten treibt. Worin dieses Äußerste besteht, bleibt ihr Geheimnis, bis sie es durch die Tat enthüllen. Es soll die Welt verblüffen – wodurch sonst als durch die Kühnheit der Überschreitung, durch die Furchtlosigkeit im Freveln, durch die Gnadenlosigkeit in der Verfolgung von Zielen und Menschen, durch neue Maxima der Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Glücksverlangen, also lauter Drohungen an die Adresse derer, die bereits unterwegs sind, ihnen das Handwerk zu legen. Dass die Abgesandten der ›wirklichen Mächte‹ bereits unterwegs sind, dass sie unaufhaltsam unterwegs sind, gehört zu den mentalen Voraussetzungen des Schreckens und ist aus dem Bonapartismus genausowenig fortzudenken wie aus den weit hemmungsloser sich am religiösen Bewusstsein mästenden Revolutionsregimen des zwanzigsten Jahrhunderts. Es dämmt sie nicht ein, es fordert sie heraus – nur wer die ganze Spur gezogen hat, kann sicher sein, dass etwas bleibt.
© Acta litterarum 2009