Gesellschaftsdämmerung | Rede
vom Weltuntergang (III,32)
Nietzsches Übermensch bezeichnet eine absurde Etappe auf diesem Weg, ermöglicht durch willkürliche Konzentration auf den darwinistischen Entwicklungsaspekt einer auf ›Biologie‹ geschrumpften ›Natur‹. Das Resultat einer Blickverengung war auch der etwas voreilig ausgerufene, offen paradoxale ›Tod des Menschen‹ – eine offensichtlich unangebrachte Festlegung der Gattung auf die kosmologische Zentralperspektive just zu einem Zeitpunkt, zu dem sie bereits als nicht mehr vermittelbar galt. Die philosophische Guckkastenbühne wird gern benützt, um solche Effekte von Zeit zu Zeit einem staunenden und tief bewegten Publikum vorzuführen, das sich anschließend wieder zerstreut. Was sollte es sonst auch tun? Um Zerstreuung handelt es sich in jedem Fall, um temporäre Ablenkungen von der Erkenntnisfalle, in der es ›keinem Zweifel unterliegt‹, dass die souveränen, nicht auf Zubringerdienste der Gesellschaft eingeschränkten Naturwissenschaften in anderen Räumen (und Zeiträumen) denken als den vom Menschen bewohnten, ohne letztere auch nur für einen Augenblick zu verlassen. Dieser Fundamentalismus geht allen anderen voraus, er ist der Rattenfänger, der sie hinter sich herzieht: die Seinsbeglückten, die Protestierer, die Aggressiv-Frommen, die obsessiven Planetenretter, selbst die letzten Nationalisten, deren Zahl vermutlich in einer asymmetrisch zusammenwachsenden Welt unaufhaltsam steigt.
© Acta litterarum 2009