Gesellschaftsdämmerung | Rede
vom Weltuntergang (III,26)
Für die Nachdenklichen hat der Weltprozess den Charakter der Suche angenommen. So scheint es und so wird es wohl sein. Dann wäre es aber auch an der Zeit, die Suche von der banalen Figur des Auswegs wegzulenken. Es gibt keinen Ausweg. Die erlösende Nachricht, die das Überleben der Gattung für die nächsten drei, vier Jahrhunderte sicherstellen könnte, steht noch aus – das ist exakt das, was sich von ihr berichten lässt. Sie fällt unter den Aufschub, als der in ihrem Licht die Zeit der Unvernunft, das heißt die Gegenwart, erscheint. Diese Welt geht täglich zugrunde – nicht am fehlenden Erfindungsreichtum der Ingenieure oder an der mangelnden Durchsetzungskraft von Politikern, sondern im prognostischen Treiben. Das hinausgeschobene Ende, diese eminent christliche Figur, rechtfertigt Leben als den permanenten Sturz in eine Zukunft, bei der niemandem wohl wird. Auch der schonendste Gebrauch der intellektuellen Ressourcen kann schwerlich das Debakel verdecken, das im Begriff der Ressource steckt: das unmerkliche Dahinschwinden dessen, womit wir auskommen müssen – dieses zweifach gestrichene Wir, in dem sich das Ich ohne Ende verlängert und das es besinnungslos für seine Niederlagen verantwortlich macht. Solange ›wir‹ andere Sorgen haben, geht es uns gut – ein Gedanke, der automatisch dafür sorgt, dass die ›anderen Sorgen‹ nicht ausgehen, denn sie sind an keine besondere Lage gebunden. Das Ärgernis bleibt also erhalten, so wie das »Wehe!« zuverlässig auf diejenigen zurückfällt, die von der Ressource Verkündigung leben; sie nähren den Prozess. Der Motor ihrer Vorstellungen – der auf ein Minimum zurückgestutzte säkulare Erlösungsglaube, wenn man so will – ist die Figur der Realisation ohne Realisation: die sich imperativ verstehende Hoffnung, eine als vergehende konzipierte Gattung möge im Wissen um ihre biologische Fragilität ›endlich‹ zu sich kommen.
© Acta litterarum 2009