Gesellschaftsdämmerung | Rede
vom Weltuntergang (III,25)
Der Weltprozess kann gewollt, er muss gewollt werden, um ihn lenken zu können, wie die technoide Vokabel lautet (in der die christliche Vorsehung sich versteckt wie der zwergwüchsige Theologe in Benjamins Adaption des Menzelschen Schachautomaten). Nüchtern betrachtet läuft das, wie immer, auf die Durchsetzung einer Interpretation hinaus. Die Rede vom Weltprozess begründet Ansprüche, die regional nicht begrenzt werden können und dürfen. Wer sich bemüht, ihnen Grenzen zu setzen, gilt als Störenfried und muss mit Sonderbehandlung rechnen. Ihre Hoheit, die Deutung, gibt sich umso unerbittlicher, als sie – ganz klar – um ihre Geschmeidigkeit weiß. So wenig sie für sich bürgen kann (allenfalls für ihre notorische Unsicherheit, die sie morgen an anderen Fronten tätig sein lässt), so energisch dringt sie darauf, jeden Widerstand niederzuwalzen, der sich in actu angesichts ihres Anspruchs formiert. Der Führungswille, den sie dem tätigen Personal abverlangt, gleich ob im Seminar oder auf dem Befehlsstand, verfügt über eine blutige Unterseite, er eignet Leuten, die ihre Wunden lecken. Nur wer am Zustand der Welt leidet, kann gezwungen werden, ihn zu ändern. Die Wunden der Akteure ähneln vermutlich denen, die sie ihren Opfern zufügen, besitzen aber den Vorteil, bloß symbolisch zu bleiben. Für die Masse der Beglückten sieht die Rechnung anders aus. Sie erscheint gemischt, wird aber als prinzipiell freundlich gedeutet. Schließlich sind sie am Drücker. Dafür lohnt es sich, Opfer zu bringen.
© Acta litterarum 2009