Gesellschaftsdämmerung | Rede
vom Weltuntergang (III,23)
Es gilt als vernünftig, die Wissensgesellschaft zu wollen, das heißt, die mit ihr unweigerlich verbundenen Umwälzungen mitzutragen und positiv zu gestalten. Diese Formel, ein Atavismus der Industriegesellschaft, klingt naiv, aber sie bezeichnet den Kern der Sache: die Parole, ›etwas‹ – bei Strafe der Nichtbeachtung – gemeinsam zu tragen und zu realisieren, umschreibt exakt die appellative Funktion des Begriffs. Die Wissensgesellschaft ist nicht, sie wird nicht, sie besitzt keinen ›greifbaren‹ ontologischen Status. Sie ist auch keine Idee. Sie wird beschworen, um aus einer Vielzahl von Prozessen und Erfahrungen eine Art Gemeinschaftsaufgabe zu filtern. Sie ist ein Konzept für Konzepte. Wer in diesen leeren Raum hineinspricht, will sicher gehen, dass man ihn hört und seine Anstrengungen nicht umsonst sind. Er will, dass ihn jemand belohnt, nicht irgendjemand, sondern eine Instanz, in der ›irgendwie‹ das Ganze für ihn präsent wird. Er will sich nicht verlieren an die ungesicherte Welt. Ein solches Verlangen hat Witz, es geht darin zu wie im Märchen vom Väterchen, das Rüben zieht. In der gesicherten Welt ist der Einzelne angekommen, bevor er sich aufmacht. Viele verpassen auf diese Weise den Aufbruch. Der Weltprozess als die auslesende Instanz, die ununterbrochen zukunftsfähige von ›untauglichen‹ Projekten sondert, wird durch das Verbot konstituiert, jene andere Revolution ein weiteres Mal zu bedenken, die als Programm und Prozess das Motiv der Erlösung in sich aufgenommen und unwiderruflich desavouiert hat.
© Acta litterarum 2009