Gesellschaftsdämmerung | Rede
vom Weltuntergang (III,16)
Ein Haar bleibt in der Suppe. Unter Revolutionären gilt die Vorstellung einer erwachsen gewordenen Menschheit, die gelernt hat, ihre Angelegenheiten ›vernünftig‹ zu regeln (sieht man von gewissen Ausfällen ab, deren Bekämpfung bereits prizipiell geregelt ist oder ›zur Regelung ansteht‹), bestenfalls als voreilig, in der Regel als Betrug. Revolutionen regeln alles neu: das ist ihr Markenzeichen. »Nichts bleibt, wie es vorher war.« Eine politische Revolution, der keine ökonomische und soziale folgt, ändert vielleicht die Macht-, aber nicht die Realverhältnisse. Ein solches Modell sieht den vernunftbestimmten Weltzustand erst nach der fälligen Umwälzung vor und konstatiert unter den gegebenen Verhältnissen, sprich Bedingungen, nur Unvernunft und ineins damit, nicht zu vergessen, ›schreiende‹ Ungerechtigkeit. Auch das bleibt, allen Schrecken zum Trotz, ein Modell unter anderen. Der Revolutionsmythos ist entzaubert, seit ›die Völker‹ das Danach ausstudiert haben. Er ist entzaubert, weil er als entzaubert gilt: dazwischen gibt es keine Differenz. Ob es seinem Studium nützt, kann dahingestellt bleiben. Eines aber scheint gewiss. Auch diese Waffe im Kampf der Eliten wird weiter existieren und in Anspruch genommen werden, und sei es aus keinem anderen Grund als dem, dass sie in der Welt ist. Auch sie unterliegt der Evolution und niemand kann wissen, in welcher Gestalt sie wieder geschichtsmächtig wird. Was die Medien heute hier und da ›Revolution‹ nennen, bezeugt, dass der Gedanke daran in der Welt ist, wenn schon nichts weiter.
© Acta litterarum 2009