Gesellschaftsdämmerung | Rede vom Weltuntergang (III,14)
Die Aktion wächst, blüht und gedeiht auf dem Humus der Meta-Geschichte. Man verschätzt sich, wenn man ihren militärischen Charakter zu stark betont. In ihrem Zentrum steht die Idee des ›Zeitfensters‹: die Vorstellung, dass alles, was getan werden kann, nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist, die eine Zeitlang gelten und dann nicht mehr. Im Grunde also ein trivialer Gedanke, der zur Politik gehört wie das Weihwasser in die Kirche. Die Frage ist, welche Art von Zielen in solchen Zeitfenstern durchgesetzt werden soll. Ein klassischer Hintergrundgedanke, der auf einmal in den Vordergrund tritt und das Geschehen bestimmt, ist nicht mehr derselbe wie vorher, er besitzt ein anderes Gewicht und bereitet andere Probleme. Vor allem traut man ihm zu, Probleme zu lösen, die vorher vielleicht als unlösbar galten. Tritt Gott durch ein Zeitfenster in die Geschichte ein? Wohl kaum, aber man kann es zumindest eine Zeitlang glauben, was auch geschieht – auf die eine oder andere Weise. Sollen wir denn warten, bis wir tot sind? Irgendwann wird auch die Menschheit tot sein und niemand wird sich an sie erinnern. Die ganze Menschheit lebt in einem Zeitfenster und betrachtet man den technisch hochgerüsteten Teil ihrer Geschichte, so handelt es sich, alles in allem, um einen winzigen Zeitspalt, der sich bereits in der nächsten oder übernächsten Generation schließen kann. Nichts ist daher natürlicher, als Gott jetzt hereinzubitten – nicht in die Besenkammer des Ich, sondern in die gute Stube einer allgemeinen Handlung, die zu allgemeinen Wirkungen führt – Freiheit und Wohlstand für alle, die guten Willens sind, wahre Freiheit also und wahrer Wohlstand, zu den üblichen Konditionen.
© Acta litterarum 2009