Gesellschaftsdämmerung | Rede vom Weltuntergang (III,4)
In ›9/11‹ haben die Medien vorübergehend ihr Bild der Vernichtung gefunden. Jeder kennt die Aufnahme, die das Rennen gemacht hat: Ein Turm ist bereits getroffen, aus mehreren Stockwerken dringt dichter Rauch, das zweite Flugzeug zeichnet sich im Augenblick vor dem Einschlag gegen den wolkenlos blauen Himmel ab. Es ist das möglicherweise erste globale politische Symbol, die prägnanteste ›Ikone‹ des Westens. Sie zeigt eine ›Welt‹, einen sozialen Mikrokosmos vor der Vernichtung, die bereits ins Werk gesetzt ist, die im Gang, aber noch nicht ›vollbracht‹ ist. Und sie bezeugt etwas, was Theoretiker eine Konstellation nennen: das Zusammentreten einander fernstehender Elemente zu einer Erscheinung, die etwas anzeigt, was nicht direkt beobachtet – oder benannt – werden kann. Was am 9. September 2001 an unvermuteter Stelle zu Tage trat, war, neben dem nie unterbrochenen Zusammenhang von Sekurität und Zerstörung, der gewöhnlich durch das Verhältnis von Zentrum und Peripherie geregelt wird, die im Alltag gut verborgene Identität von Realität und Albtraum. Es sagt sich so leicht, da und da werde die Realität zum Albtraum. Dass man es sagen kann, setzt die Realität des allseits erfahrenen Albtraums voraus, seine Allgegenwart, die nur durch Ablenkung abgebogen werden kann.
© Acta litterarum 2009