Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,21)
Lange Zeit war das der neue Mythos der Kunst: die Elemente einer
wissenschaftlich-technologischen Welt als vorgegeben, als
›naturwüchsig‹ hinzustellen. In ihnen stellte sich die Natur des
modernen Menschen dar, seine Lage, von der man als Künstler auszugehen
hatte, die es zu gestalten galt. Dass sie sich dadurch in eine Lage
manövrierte, die sich von der diagnostizierten um ein Weniges
unterschied, war in diesem Konzept weder an- noch zu Ende gedacht. Die
Kunst delegierte das Wissen an die dafür zuständigen Institutionen und
›wusste‹, indem sie gehorchte. Dass an diesem Gehorsam etwas falsch war
– abgesehen davon, dass niemand ihn erwartete –, zeigte sich an der für
Kundige gar nicht zu übersehenden Differenz zwischen dem
Wissenschaftsfeuilleton und dem, was in den Wissenschaften gedacht
wurde. Diese Kunst genügt sich selbst. Genügt sie dem Betrachter? Der
erinnert sich, wie oft sein Blick in den Galerien an den endlosen
Reihen der Abstrakten vorbei an der zweitklassigen Behandlung
irgendeines gegenständlichen Motivs haften blieb. Das war nicht
vorgesehen, aber es war die Wahrheit, auf die bereits die Popkünstler
die Probe machten, als sie die Ikonen der Alltagswelt zwischen die
Ikonen des gestalteten Problembewusstseins plazierten – mit dem Erfolg,
dass alle ein wenig zusammenrückten und die Idee des Museumscafés sie
am Ende vereinte. Problemlagengestalter waren sie schließlich alle. Als
die Politik dazukam und Künstler die brave new world
als ihr legitimes Revier entdeckten, konnte die Schranke zwischen den
Fraktionen fallen und die so ungemein aufregende ›Kunst des zwanzigsten
Jahrhunderts‹ sich auf den langen Marsch durch die
Hochglanzpublikationen begeben, an denen im Zeitalter der leichtfüßigen
digitalen Medien vor allem das Gewicht fasziniert. Dabei zielte das
meiste von Anfang an auf Politik: mit dem Sich-Verhalten-zu, dem
Sichverhaltenmüssen kommt ein Zwang in die Kunst hinein, gegen den sie
dann polemisiert – aus der Position des ewig Unmündigen heraus, der
Mündigkeit ›einfordert‹ und ›einklagt‹, ohne sie zu praktizieren.
© Acta litterarum 2008