Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,20)
Die nicht mehr schönen Künste sind nicht so unschön, wie sie
erscheinen wollten, sie verlegen die Schönheit ins Randständige,
ins Formale, ins Zitat, ins Auge des Betrachters, der die Verletzungen
erkennt und durch sie das Unversehrte wahrnimmt oder imaginiert oder
erahnt oder herbeiwünscht – und vor allem ins Material, seine im bloßen
Vorhandensein lozierte Vollkommenheit, seinen Glanz, seine Körnigkeit,
seine Rauheit, seine Widerständigkeit, seine Präsenz und wie die
bereitwillig applizierten Vokabeln alle heißen mögen. Sie lagern sie
aus – angesichts der allgegenwärtigen ideologischen Bombergeschwader
ein Verhalten, das von Umsicht zeugt. Gleichzeitig waren manche ihrer
Vertreter eitel – und ein Gutteil ihrer Interpreten naiv – genug, um in
den eigenen Werken das wahre Schöne, das wahre Wahre und selbst das
wahre Gute – das Utopische – verwirklicht zu sehen. Das ist
verständlich, sehr verständlich, aber es legt eine Art täuschender
Folie über das, was es zu sehen gibt. Was es zu sehen gibt, ist weniger
klar, als es die Katalogtexte suggerieren. Es ist auch weniger, wenn
man den geballten Verstehensaufwand auf der Interpretenseite verrechnet.
© Acta litterarum 2008