Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,18)
Es versteht sich von selbst, dass jede Moderne, die auf sich hält,
als Nachmoderne wird auftreten wollen. Sie hat die Irrtümer der Moderne
ebenso hinter sich wie ihr Versagen. Sie hat aber auch die großen
Wandlungen hinter sich, die ›uns zu dem gemacht haben, was wir sind‹,
sie hat die Moderne im Rücken und sieht weiter – weiter als diese,
weiter, um über sie hinaus zu gelangen und ihren Aporien zu entkommen.
In dieser Hinsicht ist der Einfall, eine ›klassische Moderne‹ zu
präparieren und historisch dingfest zu machen, ebenso naheliegend wie
gefährlich - naheliegend, da jede Reflexion auf Moderne zwangsläufig
eine Distanz zu etwas setzt, das man risikolos ›unreflektierte Moderne‹
nennen könnte und dadurch das Gedankenspiel der ›reflektierten Moderne‹
erzeugt, wie ein findiger Kopf sie genannt hat. Gefährlich deshalb,
weil die schwimmenden Oppositionen, vermöge derer sich Moderne jeweils
neu bestimmt, dadurch fixiert und scheinobjektiv abrufbar gemacht
werden. Die Konstruktion der klassischen Moderne ist daher eher als ein
Versuch zu werten, die Dynamik der Selbstfindung zwischen den
Generationen stillzustellen und eine Gerontokratie des Heute zu
schaffen, die sich der Zukunft nachfolgender Jahrgänge zu bemächtigen
anschickt, ohne über diesen Punkt – des Sich-Anschickens – hinaus
gelangen zu können. Sie wird das Schicksal aller langsam veraltenden
und sich auflösenden, dabei ›irgendwie‹ unabgegoltenen und interessant
gebliebenen Konzeptionen teilen, die sich strategisch ambitionierte
Wissenschaftler so ausdenken, sie wird im Raunen überdauern.
© Acta litterarum 2008