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Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,17)
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Auf diese Weise kommt auch der prophetische Typus in die Moderne hinein, der die substanzielle Arbeit zur Bewältigung der Lebensnot – die Sinngebung des Unabwendbaren – als ›Verklärung‹, ›falsches Bewusstsein‹, ›Sublimierung‹ etc. beschreibt und die Forderung erhebt, es müsse die Geschichte der Entbehrungen, gehüllt in den Glanz intellektueller und realer Eroberungen, umgeschrieben werden in eine Geschichte der Hoffnungen, der guten Ansätze, des Fortschreitens insgesamt auf einem Weg, an dessen Ende die Abschaffung der symbolischen Deutungen der Lebensnot stehen werde, da diese selbst dann behoben sei. Er weiß sich in ihr ›gut aufgehoben‹ und zeitweilig sieht es so aus, als ergreife er von ihr Besitz – als sei die Moderne nichts weiter als eine Abfolge von Versuchen, über sie hinaus zu gelangen, eine Art Jakobsleiter ins Reich der Freiheit oder der Wartesaal eines Kopfbahnhofs, von dem aus pünktlich die Züge in Richtung Zukunft starten. Das Wartesaal-Bild besitzt eine von ›Realisten‹ immer wieder namhaft gemachte Pointe: das erstaunliche Vertrauen in eine im Hintergrund regelnd aktive Verwaltung, die umstandslos dafür sorgt, dass alles so eintrifft, wie man es sich ausgedacht wird. Dieses Vertrauen kann bei Gelegenheit in Misstrauen und Säuberungen umschlagen, wie die Geschichte der totalitären Gesellschaften zeigt. Aber man versteht unmittelbar, dass Vertrauen und Misstrauen hier nur zwei Seiten einer Medaille sind. Dieselbe Bürokratie, die Regeln für eine ›geschlechtergerechte Sprache‹ ausgibt, weiß die Strukturen zuverlässig zu bewahren, die damit abgeschafft werden sollen. Die Verwaltung erfindet den neuen Menschen nicht, sie setzt ihn um. Dieses ›Umsetzen‹ ist der Kernbereich der Moderne, ihr Mysterium. Es muss begriffen werden, wenn es darum geht, Erfolg und Misserfolg der Moderne und ihrer Ziele zu taxieren. Entsprechend viele Beschreibungen sind im Umlauf. Sie erläutern anschaulich, was mit Visionen geschieht, wenn sie sich in bürokratische Regularien verwandeln. Sie demonstrieren auch das spezifisch bürokratische Vermögen, Realitäten zu schaffen und zu verändern. Dennoch behält das Umsetzen einen geheimnisvollen Aspekt, der nur auf einer sehr allgemeinen Ebene von Glitzerwörtern und Nichts-weiter-als-Formulierungen gestreift wird. Er betrifft Erwartungen an die Zukunft, die ebenso leicht als maßlos oder ›überschießend‹ gebrandmarkt wie als überlebensnotwendig und der Gattung geschuldet angesehen werden können. Moderne ist die Zeit, in der nach kurrenter Überzeugung das nicht Gestaltbare, die Zukunft, gestaltet wird. Darin liegt das Mysterium.
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