Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,10)
Die Befriedigung, die die Hüter der Vergangenheiten daraus ziehen,
dass man auch sie gelegentlich zu Wort kommen lässt, geht tief, aber
nicht auf den Grund.
Auf dem Grund lagert, in trägen, unauflöslichen Schlieren,
Verzweiflung. Die Gedächtniswissenschaften, über deren Eingängen in
Neonlicht ein mattes »Vergeblich« leuchtet, haben Zeit, viel Zeit, vor
allem dafür, sich mit ihrem Zustand abzufinden. Manchmal gibt ihnen die
Politik einen Stoß, das hinterlässt ein langes, absurdes Rumoren, über
das man ›draußen‹ den Kopf schüttelt – schon diese Unterscheidung
verheißt Übles, im besten Fall das bekannte »Rührt euch« im
Verteilungskrieg um Aufmerksamkeit und Finanzmittel. Die Wurst hängt
hoch, aber nicht zu hoch, die schlankesten Köter haben die besten
Chancen. Fragt sich, wer das ist. »Die Philosophie ist kurz, es kommt
darauf an, sie durchzusetzen« – diese kuriose Variante der elften
Feuerbachthese hörte ich als Student und glaubte andere Disziplinen
gegen derlei Hochmut gewappnet. Das war ein Fehler, wie jeder weiß, der
sich mit der Praxis und Theorie des Vordenkers auseinandergesetzt hat.
Vorgedacht ist schnell, wenn das Nachdenken auf Dauer gestellt werden
soll. Nachdenklichkeit, vor allem, wenn sie auf Tagungen paradiert,
braucht handliche Vorlagen. Wer sie liefert, verspeist die
Vergangenheit kalt.
© Acta litterarum 2008