vorige Seite
Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,8)
nächste Seite
Ach, liebe Direktion, es gibt kein ›unbesetztes Gelände‹, hier nicht und in Zukunft nicht, weder für Avantgarden noch für irgendwen sonst. Man muss es schon jemandem wegnehmen, und sei es den Nichtkombattanten inmitten der öffentlichen Auseinandersetzungen, die der kriegerische Hochmut nur als Zulieferer gelten lässt. Die Avantgarde ermittelt die Stärke des Gegners, das ist ihr Auftrag und ihr Spiel - sofern sie spielt. Man sollte nicht vergessen, welch rüdes Volk sich unter diesem Zeichen zusammenfindet. Es gibt nichts Tastenderes, Abwägenderes, Ungewisseres, selbst Unwissenderes als ein Wissen, das sich der Bestimmung des Heute nähert, es bezeichnet in allem den vollkommenen Gegensatz zur voreilenden Besserwisserei, die genau weiß und mit großer Gebärde austeilt, was an der Zeit ist und wie sich die Zukunft gestaltet. Diese besondere Macht über die Gemüter kommt aus der Zeit selbst, jemand meldet sich immer, der sie beansprucht, gleichgültig, ob das Wort Avantgarde Konjunktur hat oder gerade in die Rumpelkammer verbannt wurde. Man sollte ihr daher nicht nachtrauern, sich eher fragen, auf welchen und vor allem, auf wessen Trick man hereinzufallen im Begriff steht, wenn man ihren Verlust konstatiert. So wie es Leute gibt, die die Rückkehr des klassischen Intellektuellen fordern, den es nie gegeben hat und nicht geben kann, so gibt es Leute, die ungestüm eine Klasse von Bauchrednern zukünftiger Entwicklungen fordern, sich jedoch völlig desinteressiert an der Analyse so heikler Begriffe wie Zukunft oder Entwicklung zeigen. Sie erinnern an abgefallene Zeugen Jehovas, die mit Jehova nichts mehr im Sinn haben, aber weiterhin Zeugenschaft verlangen, oder an Ideologen, die mit jedem Marxschen Dogma gebrochen haben und unverdrossen für eine genuin marxistische Politik werben.
Inhalt
weiter