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Gesellschaftsdämmerung | Moderne zum Abwinken (II,5)
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Das kulturelle Gedächtnis lebt vom Vergessen. Das wäre nichts Besonderes, im Alltag vergisst es sich nur. Ungezählte Spezialisten, wohlgenährt und kongresssüchtig, halten die Vergangenheiten auf Vorrat, man weiß nicht recht, ob für bessere oder schlechtere Zeiten. Alle haben Nietzsche gelesen und wissen um die Vergeblichkeit, das wahre Bild der Geschichte abseits der Schneisen, die das gegenwärtige Interesse diktiert, auch nur im Vorbeihuschen fixieren zu wollen. Alle drängen in die Öffentlichkeit, die sie sich erfolgreich vom Leib hält. Manche kommen dort an, man gibt ihnen eine Sendung und, wenn sie sich gut machen, eine Sendereihe, man interviewt sie und sie bemühen sich nach Kräften, diese für sie ungewohnte Situation mit Bravour zu bestehen, das heißt, die Grenze zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, zwischen epistēme und doxa zu respektieren und nichts von dem zu verraten, was ihren wissenschaftlichen Alltag ausmacht und worüber sie sich vielleicht gerade in dem Moment ihre Gedanken machen, in dem sie ihn vermissen oder mit einer Wonne davontreiben sehen, die höhere Genüsse verheißt. Die eigene Rede in Kreisläufe einspeisen zu dürfen, die Aufmerksamkeit und sogar Einfluss verheißen, vor allem aber den eigenen Namen für einen Augenblick erglänzen lassen – dieser Versuchung erliegt man leicht und man kann sie bestens begründen, weil in wissensbasierten Gesellschaften Entscheidungsträger aller Ebenen über Wissen verfügen müssen, also jedenfalls von ihm wissen oder informiert sein sollten. Das leuchtet, wie man so sagt, ein, und dabei bleibt es auch. 
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