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Gesellschaftsdämmerung | Vergangene Zukunft (I,15)
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Sensibilität, Gespür für das Unterschwellige, Kommende sind Formen der flackernden Intelligenz – einer Intelligenz, die sich ausliefert an das, was vorgeht. An ihr haftet der Geschmack der Moderne, jeder Moderne. Etwas Ignoranz darf dabei sein, ist stets dabei. Moderne ist eine Kategorie, die der Ignoranz auf Seiten derer bedarf, die sie auslegen. »Ein moderner Ignorant« – das klingt wie der Titel einer abgestandenen Boulevard-Komödie, gleich dahinter kommt, bereits etwas schärfer, die »Arroganz der Moderne«, gefolgt von ihren »menschenverachtenden Implikationen«. Wer die Moderne nicht liebt, sieht in ihr ein Verhängnis, wer sie liebt, sieht gegenläufige ›Tendenzen‹. Kann man nicht lieben, was einen trägt? Kann man lieben, was einen ›erledigt‹? Kann man auseinanderhalten, was einen trägt und erledigt? Offenkundig nicht, dennoch müssen die kraftvollsten Bestrebungen dahin gehen. Sie müssen, so wie man dem Wasser entgegengeht, wenn man am Verdursten ist. So entwirft man Bilanzen im Futur und lieber zeiht man vergangene Zustände der Blindheit und Inkompetenz derer, die in ihnen lebten, als dass man sie nüchtern als Metamorphosen des Problems bedenkt. Die Ignoranz der Moderne ist aggressiv, das kulturelle Vergessen, das sie verlangt, besitzt programmatische Qualität, es ist eine Frage des Willens, es muss durchgesetzt werden. Vor den physischen Sperrzonen stehen die geistigen, die auch dann bleiben, wenn die ersteren weggeräumt sind. Der Ursprung jeder Moderne ist ein kulturelles Tabu.
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