Gesellschaftsdämmerung | Vergangene Zukunft (I,13)
Es gehört wohl zu den jüngeren Antinomien des Verstandes – oder des
Verständig-Seins, das in den meisten Fällen auf ein Verständigtsein
hinausläuft –, dass die Überzeugung, einer irreversiblen Entwicklung,
genauer: Konversion zu unterliegen, beständig von der gleich starken
Überzeugung durchkreuzt und zeitweilig außer Kraft gesetzt wird, diese
ganze Moderne sei nur als eine winzige Delle in einer tieferen und
weiter reichenden Menschheitsgeschichte anzusehen und zu verstehen.
Naturgemäß gehen die Ansichten darüber, worin ›diese ganze Moderne‹
bestehe, weit auseinander. Nimmt man den Trost als Maßstab, so ist die
Moderne samt ihren Ex- und Postkonstruktionen die trostlose Zeit – eine
Zeit, der der Trost abhanden gekommen ist. Statt in Untröstlichkeit zu
verfallen, machen die Menschen das Beste daraus. Dieses Beste, das
eigentümlichste Produkt einer produktionsintensiven Kultur, bietet den
Trost, den kein Trost zu bieten vermag, den Trost nach dem Trost, das
Glitzerding, mit dem sich Kinder und Konsumenten trösten. Wer sein
Bestes gibt, dem widerfährt nur das Beste. Das Beste ist das trostlose
Selbst als Widerfahrnis. Die perfekte Frau existiert nur im Spiegel.
Wer ihn häufiger konsultiert, kommuniziert öfter mit dem, was ihm
fehlt. Unfassbar, aber ›stark‹: die Verschmelzung.
© Acta litterarum 2009