Gesellschaftsdämmerung | Vergangene Zukunft (I,8)
Denkt man an die stürmischen Jahre, so sollte man sich anhalten,
nicht nur den Protest zu verstehen, sondern auch jene, die auf ihn
sahen – mit gemischten Gefühlen. Wer ein wenig älter, wer ein wenig
jünger ist, wer die magischen Daten verpasst hat, er darf sich
anschließen, er bleibt ein Leben lang Zuträger – ein unwürdiges Leben,
ein ausgedehntes Second-hand-Denken, das irgendwann auf die Originale
herunterblickt, als befinde sich unter den eigenen Vorfahren eine Horde
von Neandertalern. Das elende Wir verbirgt den Makel der unzeitigen
Geburt. Es ist der Kern dessen, was die Rede von Gesellschaft seither
mitzuteilen nicht aufgehört hat: dass alles veränderbar sei, dass es
keine Individuen gebe, dass die entscheidende Grenze nicht zwischen dem
Verfügbaren und dem Unverfügbaren, sondern zwischen dem Verhandelbaren
und dem Unverhandelbaren verlaufe. Fixiert ist das Unverhandelbare in
der Überzeugung, selber der Zukunftsfraktion anzugehören, also in jener
Mischung aus Konformismus, Feigheit und Unverfrorenheit, die
das Wort ›Steuerungskompetenz‹ so unnachahmlich umreißt. Die
Kompetenzvokabel, zähestes Relikt vergangener Obsessionen, meint, wie
bekannt, das, womit einer auftrumpfen kann, weil der Gegenseite just
hier der Wind ins Gesicht bläst. Das Unheimliche daran, weithin
umempfunden, liegt in der Eigenschaft, die Anmaßung weit gestreuter
Gruppen und Grüppchen unsichtbar zu machen, die kaum mehr verbindet als
das Bewusstsein, verbunden zu sein.
© Acta litterarum 2009