Gesellschaftsdämmerung | Vergangene Zukunft (I,6)
Zurück im Bauch der Geschichte. Der Protestgeneration, wie die
Streumasse der ’68er freundlich von Leuten genannt wurde, die das
repressive Universum der ›Gesamtgesellschaft‹ zwar nicht als das
ihrige, aber durchaus als gegeben betrachteten, tritt noch immer dieser
magische Glanz in die Augen, wenn sie vorrechnet, welche Illusionen
damals verhandelt wurden. Das ist lange her, aber genausogut ist
es gestern. Man sieht, dass ihre Vertreter die Dreißig überschritten hatten, als
der Kampf gegen die ›friedliche Nutzung der Kernenergie‹ begann, und
errät ein wenig von den Energien, die in diesen Kampf eingeschleust
wurden, um in ihm zu verbrennen. Gegen die industriell gesicherte
Zukunft die sichere Empfindung, ›verarscht‹ zu werden: das ist,
als Lebensgefühl, auch eine grandiose Versachlichung des Problems,
irgendwann auf unsaubere Weise das Feld räumen zu müssen. Die tiefe
Befriedigung, die Gesellschaft bei der Planung neuer Untergänge zu
ertappen, wird durch die Vergesellschaftung des Todes auf Dauer
gestellt. Peu à peu schafft sich das Dasein zum Tode, als Verbrechen
der anderen Seite betrachtet, eine Psychologie des Terrors oder, im
Gegenzug, des Nichtabtretenkönnens. Wer nicht abtreten kann, sieht in
dem, der gar nicht erst antritt – es sei denn, mit der Waffe in der
Hand –, sich selbst noch einmal: Sinnbild einer verfehlten
Konsequenz. Doch lässt sich dieser Sinn nicht ergrübeln, sondern nur
bekämpfen. Erst der Fundamentalismus aller Farben stellt die
Gesellschaft vor die im Ganzen schlummernde Frage: Kann Zukunft,
angesichts prognostizierbarer Sicherheits- und Versorgungsprobleme,
überhaupt offen gedacht werden?
© Acta litterarum 2009